Christian Jakob

Christian Jakob

Letztens hat mich die Aktion #BG2GETHER im August zum Thema der heutigen Beeple-Kolumne gebracht. Dort war das übergeordnete Thema Ästhetik. In der Auseinandersetzung mit dem Thema Ästhetik lieferte Christian einen entscheidenden Ansatz: „Material hochjubeln kann nämlich jede Person, witzigerweise ohne ein Spiel überhaupt je gespielt oder durchdrungen zu haben, und irgendwie ist das ja in der Szene zum Volkssport geworden. Keine Zeit zu spielen, also dient das ,geile‘ Material als Projektionsfläche des Hobbys.“ Ich habe mir also die Frage gestellt: Was ist denn der Kern des Hobbys? Für mich habe ich die Frage weitergeführt. Was ist der Kern des Brettspiels? Brett & Pad lebt vom Dialog. Daher gebe ich die Frage mal weiter.

Markus Schwind

Markus Schwind

Markus: Christian, du hast diese Frage in mir ausgelöst. Bevor ich sie für mich beantworte, möchte ich deine Perspektive erleben. Was ist der Kern des Spiels?

Christian: Ich würde den Begriff Kern eigentlich direkt in einen Diamanten ändern, weil die Antwort auf die Frage so viele Facetten hat. Entsprechend bin ich vielleicht nicht in der Lage, den einen Kern herauszuschälen, weil sich einfach verschiedene Elemente verschränken. Die Frage nach dem Hobby würde ich auch ausschließen wollen, weil dies ein noch viel breiteres Feld ist. Zum Hobby kann das Sammeln von Brettspielen genauso gehören wie das Bemalen von Figuren, Erstellen von Inserts oder alternativen Spielmaterialien. Grenzen zu setzen wäre schwer – und auch völlig unnötig. Deine von mir zitierte Aussage bezog sich darauf, dass das Material, die Opulenz dessen und die Ästhetik in der Auseinandersetzung über Social Media, Marketing bis Crowdfunding gefühlt einen immer größeren Raum einnimmt. Die Brettspielwelt über Instagram inszeniert sich vornehmlich auf die äußeren Reize, bei Crowdfunding bricht der brachiale Trailer mehr ins Auge als die Spielanleitung und Unboxings sind gefeierte Formate, wo die „Crowd“ dazu angeleitet wird, sich doch auch diesen Schatz zuzulegen. Mitnichten kann damit der spielerische Schatz gemeint sein, sondern eben der visuelle. Damit möchte ich mich weder komplett gegen diese Reize stellen noch sie verteufeln, wie in der #BG2GETHER Aktion schon ausgeführt. Nur ist es – und damit wären wir vielleicht bei deiner Ausgangsfrage – nur ein Teil dessen, was für mich ein Spiel ausmacht. Vielleicht auch, was mich zu einem Spiel hinzieht. Passende Schlagworte wären Mechanik, Thema, Interaktion, Anspruch, Leichtigkeit und Herausforderung.

Markus: Ok, das verstehe ich. Ich widme mich jetzt deinen Schlagworten, denn sie führen mich viel mehr zu dem Kern bzw. Diamanten, den du beschreibst. Ich wurde in letzter Zeit häufig gefragt, warum ich mit einer solchen Passion spiele, so viel Zeit in dieses Thema investiere und versuche, Mitmenschen immer davon zu überzeugen, was der Reiz des Spielens und vor allem des Brettspiels ist. Und du hast Recht. Hier ist eine reduzierende Kernaussage kaum möglich. Wenn ich allerdings versuche, diese Facette in Worte zu fassen, stütze ich mich auf Folgendes: Das Spiel zeigt seine Magie in der Dynamik der Anpassung mit den Mitspielenden. Beim Brettspielen werden gemeinsame Erlebnisse und Ereignisse geschaffen, Strategien erprobt und angewendet. Lebendiges, unvorhersehbares Erleben. Und das in unzähligen Variationen, Niveaustufen und Ausprägungen. Ist das auch ein Teil deiner Facette oder ist dein Diamant anders geschliffen?

Brettspiele als Superkraftstoff

Christian: Auf jeden Fall sind Mitspielende für mich wichtig. Alleine üben für mich Brettspiele in der Regel keinen Reiz aus. Ich würde als den Kern von Brettspielen vier Hauptbereiche für mich festmachen. Zunächst ist dort das spielerische und taktische/strategische Element, welches mir Entscheidungen abverlangt, darüber Reiz ausübt und das selbst auf niedrigem Niveau. Weiter wäre dann die Interaktion zu nennen. Also die Auseinandersetzung mit Mitspielenden von Emotion zu Emotion, fühlbar direkt von Mensch zu Mensch, ob nun als Wettbewerb, kooperativ gegen das Spiel und egal ob destruktiv bis hin zur seichten Interaktion. Der dritte Punkt wäre die Verschränkung von Thema und Mechanik, der sich alle unterwerfen müssen und einer daraus erwachsenden Narration. Brettspiele erzählen immer etwas. Selbst trockene Eurogames besitzen aus meiner Sicht dieses Element, auch wenn mir hier wohl einige widersprechen würden. Es passiert einfach etwas am Tisch, wenn Mechanik und Thema auf eine Gruppe von Menschen trifft. Der letzte Punkt wäre das Haptische. Gerade in unserer überdigitalisierten Welt versprüht alleine das Halten eines Würfels oder Tokens in der Hand etwas Magisches. Das Material kann alle Punkte unterstützen, aber es ist allein nichts wert und am Ende des Brettspielabends nur der Steigbügel der anderen Elemente.

Markus: Für mich persönlich kommen noch zwei weitere Facetten hinzu, die häufig nicht bedacht werden oder gar so beiläufig sind, dass sie kaum erwähnt werden. Das eine ist der soziale Charakter. Menschen treffen sich zu einer verabredeten Zeit an einem Ort und zentrieren das Spielen in ihrem gesellschaftlichen Kontext. Das hat für mich schon ein verbindendes, romantisches Element. Und es ist ja tatsächlich generationsübergreifend möglich. Ein weiterer Schliff des Spiels ist seine Ortsunabhängigkeit. Die Möglichkeit, fernab von Zivilisation, Strom oder irgendwelchen Vorgaben eine Schachtel mitzunehmen und zu spielen. Betrachte ich diese Facetten kumulierend, dann können sehr wenige andere Freizeitmöglichkeiten so viele unterschiedliche Perspektiven anbieten. Sport und Kunst vielleicht noch, auch wenn ich bei Kunst vollkommen raus bin. Christian, deine Perspektive und Fokussierung waren für mich ein Genuss und hoffentlich auch für die Leser:innen der Kolumne. Ich würde dich bitten, den Abschluss zu schreiben.

Christian: Zwei schöne Punkte, Markus. Den sozialen Charakter würde ich gerne noch einmal aufgreifen. Da ist das Brettspiel ja eher ein Instrument, das nur so gut funktioniert, wie die Spielgruppe darauf spielen kann. Ich habe da schon sehr schiefe Töne erlebt und meide seitdem auch gewisse „Orchester“. Wenn allerdings die Spielgruppe passt, dann sind Brettspiele, selbst die einfachsten, fernab jeglicher materieller Opulenz ein echter Superkraftstoff. Der Alltag wird vergessen, die Sorgen verblassen und Brettspiele befördern Energie aus Gruppen und erschaffen echte Wohlfühloasen. Ich erlebe das immer wieder bei meinem offenen Brettspieltreff und bin absolut begeistert, wie sich innerhalb eines Abends eine echte Glückseligkeit in den Raum einnistet. Das ist am Ende nicht der Kern eines Brettspiels – aber vielleicht sind Kerne auch egal, sondern es ist dieses besondere, zuletzt beschriebene Gefühl, warum ich Schachteln lupfe und mit anderen Menschen spielen möchte.

– Christian Jacob und Markus Schwind, www.brettundpad.de