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Daniel Niemann

Letztens bin ich zusammen mit meiner Frau für ein Wochenende an die Nordsee gefahren. Auf dem Weg, es muss knapp auf Höhe Varel gewesen sein, fiel uns auf, dass wir gar kein Spiel mitgenommen hatten. Ich weiß, ich weiß, eine undenkbare Situation. So geht es natürlich nicht. Wir erinnerten uns zum Glück an einen kleinen, in Sachen Brettspielen einigermaßen gut sortierten Spielwarenladen in Wittmund, bei dem wir auf dem Weg einkehrten und in Ermangelung eines größeren Spiels aus dem Angebot, das wir noch nicht in der heimischen Sammlung besaßen, das kleine und hübsch aussehende Würfelspiel „Beam me up“ aus dem Moses-Verlag erstanden. – Keine Angst, das wird jetzt keine Rezension. 

Abends im Restaurant, zwischen Bestellung und Auslieferung der Kutterplatte (Matjes, Scholle, dazu Bratkartoffeln) schnell die fünf kleinformatigen Seiten Regeln überflogen, und beim Nachtischbier spielten wir bereits die erste Partie. Der Ablauf ist, wie erwartet, simpel: wir würfeln kniffelähnlich dreimal, und bei einem Pasch dürfen wir mit einem sowohl weißen als auch schmucklosen Klötzchen in der der Zahl entsprechenden Spalte nach oben rücken. Bei einem Drilling sogar zwei Felder. Und so weiter. Wenn wir uns mindestens zwei Felder nach oben bewegen, muss unsere Mitspielerin (die übrigens das Rotbarschfilet mit Salzkartoffeln und Zitronenbuttersauce hatte, falls jemand fragt) den entsprechenden Holzmöppel ein Feld nach unten ziehen. Gemein.

Foto des Spiels Beam me up, im Hintergrund steht ein Bier.

Beam me up von Klaus-Jürgen Wrede hat rein gar nichts mit Star Trek zu tun.

Ziel ist es natürlich, mit mindestens fünf Spielsteinen (im Spiel zu zweit) am oberen Rand, im Weltall quasi, anzukommen. Dann gibt es noch zwei Sonderfelder: einmal Sterne, die uns vor Fiesheiten bewahren und Raketen, mit denen wir den Stein noch einmal bewegen dürfen. Okay, alles klar, jetzt geht es los, wir spielten drei Runden und tranken zwei Watt’nbiere und waren zwar leicht angeschickert, vom Spiel jedoch enttäuscht. Das war alles? Langweilig. Oh, das wird ein Verriss.

Der nächste Tag, aufstehen, Frühstück, es regnet in Strömen, komm, lass uns noch mal spielen. Ich werfe noch einen kursorischen Blick in die Spielregeln, und Klei mi an Mors! Hab ich doch glatt was übersehen. Denn die Raketenfelder ermöglichen es, einen beliebigen Stein voran zu bewegen. Kleine Änderung, wirkt sich aber stark aus. Plötzlich sind Kettenzüge möglich, das Spiel wird vom beliebigen Zufallswürfler zum – nun, zum leidlich interessanteren Würfelspiel. Wertung: so mittel. Immerhin.

Schaf auf Deich in der Nähe von Neuharlingersiel

Schaf auf Deich in der Nähe von Neuharlingersiel

Den Tag verbringen wir nach dem Aufklaren durchgepustet am Deich, Schafe streichelnd im Werdumer Haustierpark (den ich gerne als Oase der Entschleunigung empfehle) und beim Stadt Ortsbummel, bis wir dann abends wieder – selbstverständlich mit Beam me up in der Softshelljackentasche – in einem Restaurant landen. Wir geben dem lila-türkisen Spiel noch eine dritte Chance. 

Plötzlich – was geschieht hier? – entwickelt sich ein Meta-Spiel. Das Vorgehen wird taktischer, wir überlegen mehr bei unseren Zügen, wir planen, wählen gezielt bestimmte Zahlen, um dem Gegenüber zu schaden, das Spiel öffnet sich. Wir ertappen uns dabei, wie wir richtig Spaß haben und unsere Züge gehässig kommentieren und vor Freude johlen und leise fluchen, wenn wir wieder abstürzen müssen.

Wie oft hat man sich schon gefragt, wie manche so offensichtlich schlechten Spiele durch eine professionelle Redaktion gelangen können! So nämlich. Manchmal muss man ein Spiel doch tatsächlich mehrfach spielen, bis es seinen Reiz entwickelt. Oft ist einfach der Drang groß, lieber zum nächsten neuen Spiel vom Schandenstapel zu greifen oder zum bekannt guten Euroklopper. Aber – vielleicht ist es doch auch sinnvoll, Spielen eine zweite, dritte oder gar siebte Chance zu geben.

Beam me up ist übrigens tatsächlich kein Spitzenspiel. Dafür passiert einfach von Partie zu Partie zu wenig, und man ist dem Zufall selbstverständlich weitgehend ausgeliefert. Zu viert ist es deutlich zu lang und trägt keineswegs über die zu ausgedehnte Spieldauer. Zu zweit oder maximal zu dritt vermag es aber die ein oder andere trostlose Stunde zu versüßen. Wenn man ihm eine Chance gibt (Mist, jetzt ist es doch eine Rezension geworden).

Was haben wir nun gelernt? Erstens: auch selbsternannte Experten sollten Spielregeln vollständig und in allen Details lesen. Und zweitens: auch selbsternannte Experten sollten Spiele nicht schon nach einer oder drei Partien beurteilen. Ach so, und drittens: niemals ohne Spiele verreisen.

– Daniel Niemann, www.spieltraeumer.de