Brettspiele werden tagtäglich bewertet, aber wie sieht es mit dem Spielen an sich und dem Gruppengefüge aus? Gibt es schlechtes Spielen, losgelöst von der Frage nach Gewinnerin oder Gewinner? Wie frei sind wir eigentlich beim Spielen mit unseren vielleicht unterschiedlichen Auffassungen Brettspiele anzugehen – und führt dies zu Problemen? Ich meißle hier noch an einer gefestigten Meinung, habe aber im Verlauf der vielen Jahre und im Austausch mit der Community das Bedürfnis entwickelt, darüber zu schreiben und vielleicht in den Austausch zu kommen.
Brettspiele sind erst einmal ein Treffpunkt in einem aus Regeln definierten Rahmen für unterschiedlichste Personen. Sie heißen nicht umsonst Gesellschaftsspiele, weil sie eben Gesellschaft brauchen und meist immer irgendeine Form von Interaktion ermöglichen. Es ist kein freies Spiel, sondern innerhalb der spielenden Gesellschaft herrscht eine unausgesprochene, natürliche Vereinbarung zur Regeleinhaltung und der Bestimmung des Spielsiegs. Nun gibt es wahrhaft extrem unterschiedliche Brettspiele. Vom harten Konfliktspiel um Vorherrschaft und maximale Asymmetrie über thematische Euro- wie American-Style-Games, kompetitiv oder kooperativ, bis hin zu eher mechanischen Vertretern oder gar abstrakten Spielen wird alles abgedeckt. Je nach Spiel entwickelt sich hier auch noch eine psychologische Komponente. Fühle ich mich unter Druck gesetzt, wenn ich mich in kooperativen Spielen einbringen muss? Kann ich ein an mich gestelltes aggressives Handeln in manchen Brettspielen überhaupt umsetzen? Fühle ich mich spielerisch zu inkompetent, vielleicht durch Überforderung oder eigener Anspruchshaltung im Vergleich zu der Konkurrenz am Tisch? Was ist dann die Lösung des Einzelnen?
Die offensichtlichste Beobachtung, Konfliktspiele, vor allem auch mit hoher Asymmetrie, sind sehr fehleranfällig und hier können falsche Entscheidungen von Spielenden das Spielerlebnis aller am Tisch zerstören. Ich habe Partien in Root, Cthulhu Wars und Cry Havoc erlebt, die waren zum Vergessen. Allerdings wird bei dieser Art der Spiele den Spieler:innen dies selbst schnell bewusst. Hier tritt sicher eine Art Selbstselektion ein. Man probiert es aus und legt es vielleicht zu den Akten oder beißt sich, gerne mit Hilfe, einfach rein.
Ähnliches Problem erlebe ich konstant bei Brettspielen, die eine Verrätermechanik besitzen oder semi-kooperativ aufgebaut sind. Auf dem Papier sind dies oft meine absoluten Highlights, in der Praxis haben wenige andere Spiele eine so schwankende Qualität in Sachen Spielspaß. Den Teilnehmer:innen ist manchmal nicht klar, was innerhalb des Rahmens von ihnen abverlangt wird. Brettspiele einfach nur zu mögen ist aufgrund so unterschiedlicher Anforderung kein Merkmal, das weiterhilft.
Es gibt aber auch Naturen, die in weniger interaktiven Spielen sich selbst Ziele setzen, losgelöst vom Rahmen des Brettspiels. Vielleicht um sich aus der Gleichung zur Ermittlung des Spielsiegs herauszunehmen, weil sie eine Art Druck verspüren. Sich selbst, aber auch den anderen gegenüber. Einfach eine gute Zeit haben. Lasst die anderen mal machen. Eigentlich legitim! Ich selber gehöre auch nicht der Fraktion an, die nur als Sieger:in am Tisch Spaß fühlt. Das gemeinsame Erlebnis ist mir wichtiger. Nur ist das wirklich förderlich im Sinne des allgemeinen Spielspaßes? Wer sich aus den aus Regeln definierten Rahmen selbst von Anfang an herausnimmt, verändert unter gewissen Voraussetzung das Spiel. Setzt Spielmechanik theoretisch nicht darauf, das jeder nach seinen Möglichkeiten eben in dem Regelkorsett die besten Aktionen ausübt? Sich davon zu lösen, weil man sein eigenes Spiel im Spiel spielt, kann versteckte Königsmacherei bewirken. Arg suboptimales Spielen beeinflusst dann im Extremfall die validen Strategien anderer und damit vielleicht auch den Spielspaß.
Weitere Beobachtung ist das thematische Spielen. Eigentlich auch hier unter gewissen Umständen förderlich und es zaubert sicher eine Prise Atmosphäre in den Spieleabend. Als Immersions-Junkie empfinde ich daher thematisches Spielen oft als schönes Spielen. Aber auch hier kann das unter Umständen das Spielgefüge zerstören. Wer aus sich heraus vielleicht eine moralische Komponente einbaut, die das Spiel nicht vorgesehen hat und nun Aktion X nicht ausführt, bricht mit dem Konsens über die Regeln, nach denen andere ihr Spiel planen. Ich habe einige Partien erlebt, wo das Spiel durchaus kippte, weil Spieler:innen gewisse Dinge, so sinnvoll sie für die Spielmechanik zu dem Zeitpunkt auch waren, nicht ausgeführt haben. Diese selbst gewählte Freiheit greift dann vielleicht in den Spielspaß der anderen ein. Wo endet thematisches Spielen oder das Spielen über selbst gesteckte Ziele im Spiel und wo fängt schlechtes Spielen und die Zerstörung des Spielspaßes der anderen an?
Andere Typen sind vielleicht bekannter und deshalb nicht so ganz im Fokus meines Textes. Wir kennen Alpha-Spieler:innen, die am Tisch alle kooperativen Gedankengänge ersticken. Noch schlimmer, es kann kooperative Spiele, die man selbst vielleicht gemocht hätte, auf das Abstellgleis bugsieren. Besonders tragisch, wenn man dieses Genre eigentlich mag und das Alpha-Problem sich im Partner selbst verankert. Da werden gute Spiele plötzlich unspielbar.
Am Ende reden wir über Brettspiele, und wir spielen sie zusammen. Dabei spielen und empfinden wir aber womöglich anders. Der regeltechnische Rahmen mag gleich sein, die Erwartungshaltung zu einem Spiel, wie man in diesem agiert und was gutes Spielen ist, ist aber äußerst unterschiedlich in den Spielenden verankert. Ich weiß nicht, ob sich darüber immer alle im Klaren sind. Die eingangs erwähnte unausgesprochene natürliche Vereinbarung hilft dabei nämlich nicht. Sie ist ein Trugschluss. Uns eint zwar vielleicht die Liebe zu Brettspielen, aber nicht unbedingt die Art wie wir spielen und miteinander interagieren.
– Christian Jacob, http://brettundpad.de
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