Eine Liebeserklärung
Es ist gemeinhin eine Binsenweisheit: Man merkt erst, was man hatte, wenn es nicht mehr da ist. Und auch das muss ich anderen Spielern wohl nicht erzählen, momentan sind es die Mitspieler, die angestammten Runden, die auf einmal keine Selbstverständlichkeit mehr sind. Ich habe das Glück, Teil einer vierköpfigen Familie zu sein, in der Dreiviertel alt genug sind und auch ein eigenes intrinsisches Bedürfnis haben, regelmäßig zu spielen. Gerade meine Tochter bittet jeden Tag aufs Neue zum Duell und spielt sich im Moment mit mir durch die Klassiker im Regal. Da geht mit ihren acht Jahren mittlerweile doch sehr viel. So weit so gut, möchte man meinen.
Es mag auch einige geben, die sagen: „Spiel doch online. Es gibt mittlerweile einige Plattformen, auf denen man spielen kann. Oder hier, Spiel XY geht auch super per Videokonferenz. Und diese Apps sind sehr zu empfehlen.“ Ich kann da auch nicht widersprechen, ich habe das alles ausprobiert und gebe zu, auf technischer Ebene funktioniert das einwandfrei. Stets sind bei mir zum Beispiel auf yucata.de sechs bis sieben Partien gleichzeitig im Gange, und wenn ich mal ein paar Minuten für mich habe, wird die BuBu-App mit KI gestartet. Nichtsdestotrotz kann ich nach einem Monat sagen: über den Status eines fast schon kläglichen Surrogats wird das alles nicht hinaus kommen. Ich spiele ja sonst auch nicht nur um des reinen Akt des Pöppelschubsens willen.
Wir sitzen im selben Boot
Doch zurück zu meiner Tochter. Zu Beginn der aktuellen Coronakrise war ich oft um Beispiele bemüht, die meiner Tochter im Grundschulalter helfen sollten, mit der über sie hereingebrochenen Situation besser umzugehen. Dass nicht nur sie auf vieles wie dem Treffen von und dem Spielen mit Freunden verzichten muss, sondern auch wir Erwachsene Opfer bringen. Wir also alle im selben Boot sitzen. Quasi geteiltes Leid und damit halbes Leid. Daher sagte ich ihr, dass auch ich nicht mehr zu den öffentlichen Spieletreffen und meinen anderen Spielerunden gehen könne. Zugegeben, es ist kein fairer Vergleich. Ihr fehlt ein existenzieller Teil des Alltags, mir hingegen auf den ersten Blick lediglich ein leicht verzichtbares Vergnügen.
Und auch jetzt werde ich mich hüten zu behaupten, es sei ein beiderseitiger Verzicht auf Augenhöhe. Doch mit jedem weiteren Tag wird das von mir vor Wochen gewählte Beispiel zutreffender. Denn bei aller Begeisterung und Neugier für Brettspiele, die in meiner Familie vorhanden sind: ein Spieleabend mit Gleichgesinnten und vor allem Gleichverrückten ist dadurch nicht zu ersetzen, so ehrlich muss man dann doch mal sein. Nicht falsch verstehen, für Familienspieler sind es sehr erfüllende Zeiten – welch zynisches Adjektiv, wenn anderswo Menschen an Beatmungsmaschinen angeschlossen sind. Was das Spielen toll macht, brauche ich an dieser Stelle den Lesern nicht mehr zu erklären, denke ich. Die vielzitierten Emotionen eben. Und klar, die erlebt man in diesem Rahmen natürlich auch.
Das i-Tüpfelchen aber, das jeder gemachten Spielerfahrung für mich die Krone aufsetzt, welches im familiären Rahmen dann eben trotz aller Spielfreude meist nicht zustande kommt und das ich mir momentan so unfassbar zurückwünsche, ist der anschließende tief erfüllende Austausch über das Spiel, aber eben auch gerade das Spielen an sich. Vergleichbar ist das wohl am ehesten mit den Gesprächen nach einem Kinobesuch. Wer geht schon zusammen einen Film sehen, um danach nicht ein Wort darüber zu verlieren, wie das Gesehene auf einen gewirkt hat? Leider werden Spiele jedoch oft nach der Partie eingepackt, und der Alltag kehrt sofort zurück. „Sagt mal, wo fahrt ihr eigentlich dieses Jahr in den Urlaub hin, und wie geht es den Kindern?“
Metadiskussionen
Aber ich behaupte mal, alle Brettspielverrückten, und in ganz besonderer Weise meine Bloggerkollegen und ich (ich maße mir mal an, für sie zu sprechen), ziehen den Großteil ihrer Befriedigung wohl nicht aus dem Spiel selbst sondern aus der Metadiskussion im Anschluss. Was hat die Mechanik mit uns gemacht, welcher Zug war absoluter Bockmist, wie macht man es nächstes Mal besser, welches Timing war perfekt, wie verhält sich das Werk zum Rest des Portfolios des Autors, und hat das kulturelle Relevanz? Dabei geht mein Herz auf.
Der wohl realistische Ausfall all der Szeneveranstaltungen dieses Jahr, der Messen und Conventions, des Tags der Brettspielkritik, meiner privaten BrettagoCon oder auch unseres jährlichen Beepletreffens schmerzt daher unbeschreiblich. Umso mehr werden die ersten wieder stattfindenden Spieleabende mit meinen Mitpodcastern Daniel, Chris und Steph, bei Dirk dem Ex-Würfelmagier, bei Julia und Stephan von Spiel Doch Mal und allen anderen, die ich über das Hobby kennenlernen durfte, entsprechend gefeiert werden wie ein Fastenbrechen.
Hach Leute, ich vermisse Euch. Hoffentlich bis ganz bald.
Nico Wagner (www.brettagoge.de), 30.4.2020