Christoph Post

Hausregeln – Fluch oder Segen?

Hausregeln sind in der Brettspielszene ein weit verbreitetes Phänomen und sorgen oft für hitzige Diskussionen an unseren Brettspieltischen. Während einige Spielende sie als kreative Freiheit und eine Möglichkeit zur Individualisierung eines Spiels betrachten, sehen andere sie als Eingriff in das durchdachte Design der Autoren und Autorinnen. Doch warum setzen wir überhaupt Hausregeln ein? Welche Vorteile – und möglichen Nachteile – bringen sie mit sich?

Warum setzen Spieler Hausregeln ein?

Die Gründe für den Einsatz Hausregeln sind vielfältig und hängen stark von den Bedürfnissen der jeweiligen Gruppe ab. Sie können dazu dienen, das Spielgefühl zu verbessern, das Spiel an die eigene Gruppe anzupassen, Balance-Probleme zu lösen oder einfach den Spielablauf zu beschleunigen.

Verbesserung des Spielgefühls: Viele Spielende nehmen kleinere oder größere Regeländerungen vor, um das Spielerlebnis angenehmer oder fairer zu gestalten. Manche Spiele fühlen sich mit bestimmten Mechaniken zu zufällig, zu langsam oder unausgewogen an, sodass Hausregeln helfen können, die Spielerfahrung zu optimieren. Beispiele für solche Anpassungen sind:

  • Catan: Eine zusätzliche Bauphase oder alternative Räuber-Mechanismen verhindern Frustration.
  • Gloomhaven: Die Einführung einer gemeinsamen Gruppenkasse erleichtert das Ressourcenmanagement.
  • Root: Hausregeln zur Vereinfachung der Fraktionsfähigkeiten für Anfängergruppen.

Anpassung an die Spielergruppe: Hausregeln werden häufig genutzt, um Spiele für bestimmte Gruppen zugänglicher zu machen. Insbesondere wenn Kinder, Anfänger oder Solo-Spielende beteiligt sind, können kleinere Modifikationen helfen, das Spiel fairer oder angenehmer zu gestalten. Häufige Anpassungen in diesem Bereich sind:

  • Arche Nova: Verlängerung des Solo-Spiels, um mehr Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen.
  • King of Tokyo: Anpassungen bei den Würfelwürfen, um Spielern eine zweite Chance zu geben.
  • Everdell: Mehr Kartenoptionen zur Auswahl, um die strategischen Möglichkeiten zu erweitern.

Bessere Balance: Ein weiterer häufiger Grund für Hausregeln ist das Streben nach einem ausgewogeneren Spielerlebnis. Gerade bei kompetitiven Spielen kann es vorkommen, dass bestimmte Strategien oder Mechaniken übermächtig sind. Hausregeln helfen dann, das Spiel fairer zu gestalten. Einige Beispiele:

  • Risiko: Alternative Armeeverteilung sorgt für eine ausgeglichenere Startposition.
  • Terraforming Mars: Eine gleichmäßige Verteilung negativer Effekte verhindert, dass einzelne Spieler übermäßig bestraft werden.
  • Puerto Rico: Modifikation der Gebäudeauswahl zur Förderung ungenutzter Strategien.

Schnellerer Spielablauf: Lange Spielzeiten können den Spielspaß mindern, insbesondere wenn einzelne Spielende früh ausscheiden oder die Wartezeiten zu lang werden. Hier können Hausregeln helfen, den Spielfluss zu verbessern:

  • Eiserner Thron: Ein Spieler verliert seine letzte Festung nicht direkt, sondern erhält eine Gnadenfrist.
  • Karak: Eine reduzierte Anzahl an Verliesplättchen verkürzt die Spielzeit.
  • Monopoly: Eine festgelegte Zeitbegrenzung verhindert endlose Spielrunden und Frustration.

Die Haltung gegenüber Hausregeln

Die Meinungen zu Hausregeln sind in der Brettspiel-Community gespalten. Während einige sie als notwendigen Bestandteil einer dynamischen und flexiblen Spielerfahrung betrachten, halten andere sie für eine unerwünschte Veränderung der vom Spieldesigner beabsichtigten Mechaniken.

Befürworter: Für die Verfechter von Hausregeln steht der Spielspaß an erster Stelle. Sie argumentieren, dass jedes Spiel an die eigenen Vorlieben und Bedürfnisse angepasst werden kann und sollte. Das strikte Festhalten an offiziellen Regeln könne in manchen Fällen das Vergnügen mindern oder das Spiel in einer bestimmten Gruppe unspielbar machen. In ihren Augen ist es wichtiger, dass alle Beteiligten Spaß haben, als eine Regel wortwörtlich zu befolgen.

Kritiker: Auf der anderen Seite gibt es Spielende, die Hausregeln ablehnen, da sie das Spielprinzip verfälschen. Sie betonen, dass sich Autor und Autorin oft lange Gedanken über die Regeln und die Balance eines Spiels machen und dass Hausregeln dieses ausbalancierte System stören können. Zudem sehen sie die Gefahr, dass sich das Spielerlebnis von Gruppe zu Gruppe zu stark unterscheidet und ein Spiel dadurch seine Identität verliert.

Neutrale Position: Viele Spielenden nehmen eine pragmatische Haltung ein. Sie sind offen für Hausregeln, solange diese im Vorfeld klar kommuniziert werden und alle Mitspieler damit einverstanden sind. Entscheidend ist für sie, dass durch Hausregeln kein unfairer Vorteil entsteht und die Änderungen das Spielgefühl für alle verbessern.

Häufige Anwendungsfälle für Hausregeln

Neben den bereits genannten Gründen gibt es einige typische Situationen, in denen Hausregeln besonders häufig zum Einsatz kommen:

  • Fehlinterpretierte Regeln: Es kommt immer wieder vor, dass eine Regel über längere Zeit falsch gespielt wird, bis jemand auf den Fehler hinweist. Oft stellt sich heraus, dass die inkorrekte Version der Regel den Spielern sogar besser gefallen hat, sodass sie beibehalten wird (siehe „Frei Parken“ bei Monopoly).
  • Solo-Varianten: Viele Spiele sind nicht für das Solo-Spiel konzipiert oder haben keine überzeugenden Einzelspielermodi. Spieler entwickeln daher eigene Mechanismen, um das Spiel alleine spielbar zu machen.
  • Partyspiele: Bei Partyspielen sind Hausregeln besonders verbreitet. Sie dienen dazu, das Spiel chaotischer, lustiger oder spannender zu machen. Zudem fallen sehr häufig die Punktewertungen weg, da sie als störend empfunden werden.
  • Story- und Kampagnenspiele: Bei narrativen Spielen wie AndorRobin Hood oder Time Stories kommt es häufiger vor, dass Würfelergebnisse oder andere Zufallsmechaniken durch Hausregeln angepasst werden, um eine bessere Immersion zu ermöglichen.

Mein Fazit

Hausregeln sind ein kontroverses, aber weit verbreitetes Element in der Brettspielwelt. Während einige Spieler sie als essenzielle Möglichkeit zur Verbesserung des Spielerlebnisses betrachten, empfinden andere sie als unnötige Veränderung des ursprünglichen Spielkonzepts. In der Praxis werden Hausregeln besonders dann genutzt, wenn:

  • Ein Spiel zu langatmig ist.
  • Eine Balanceanpassung notwendig erscheint.
  • Regeln unklar oder unbefriedigend sind.
  • Kinder oder unerfahrene Spieler beteiligt sind.

Letztlich bleibt es Geschmackssache. Solange sich alle Mitspieler auf die Hausregeln einigen, steht einer individuell angepassten Spielerfahrung nichts im Weg. Die wichtigste Regel bleibt also: Spaß haben!

– Christoph Post, Brettspielbox