Letztens musste ich während einer Partie Mage Knight an diesen amerikanischen Shakespeare-Professor denken, der mal gesagt hat, dass er alles dafür geben würde, Romeo & Julia wieder zum allerersten Mal lesen zu können. Wieso kommt mir dieser Gedanke beim Spielen von Mage Knight? Na, weil ich mal wieder dabei war, eine Regelunklarheit in der Anleitung nachzuschlagen und parallel das Regel-Forum auf Boardgamegeek und das von Fans erstellte 190-seitige Q&A-Kompendium offen hatte und in dem Moment einfach froh war, dass ich dieses Spiel nie wieder zum allerersten Mal lernen muss.
Mage Knight (und ich meine hier natürlich das Brettspiel von Vlaada Chvàtil aus dem Jahr 2011, nicht das auf der selben Lizenz basierende Miniaturen-Spiel) ist ein v.a. unter Solo-Spielern sehr hoch angesehenes, kartengesteuertes Erkundungs- und Eroberungsstrategiespiel mit Fantasy-Setting, das unter anderem dafür berüchtigt ist, ein sehr komplexes Regelwerk zu besitzen. Dabei ist das Grundregelwerk gar nicht schwierig zu begreifen, was auch dadurch unterstützt wird, dass dem Spiel neben der eigentlichen Anleitung ein durchaus einsteigerfreundliches Tutorialheft beiliegt, das einen ganz behutsam durch die erste Partie führt und dabei nach und nach alle wichtigen Regeln erläutert. Das Problem an Mage Knight sind dann eher die ganzen „kleinen“ ergänzenden Details, die mit so ziemlich jeder einzelnen Regel daherkommen. Welcher Mage-Knight-Spieler ist denn nicht schon mal bei Tag in einen Dungeon hinabgestiegen und hat dabei ganz vergessen, dass jetzt plötzlich die Nachtregeln gelten und dass außerdem die eigenen Einheiten nicht mitkommen dürfen, weil da unten einfach kein Platz für sie ist? Das ist jetzt natürlich nur ein Beispiel von vielen …
Wer soll sich das alles merken?
Eigentlich sind all diese Regeldetails thematisch sehr schlüssig und nachvollziehbar. Aber wer soll die sich denn alle merken? Klar, irgendwo sind alle Regeln in der (leider nicht sehr übersichtlichen) Anleitung vermerkt. Aber wenn ich nicht weiß, dass ich gerade etwas falsch spiele, habe ich auch keinen Grund, die Anleitung zu konsultieren. Deshalb empfehle ich jedem, der Mage Knight abseits des Tutorials weiterlernen möchte, dies lieber anhand der zahlreichen Regel- und Playthrough-Videos zu tun, die man im Netz findet. Regelfeinheiten bleiben einfach viel besser hängen, wenn man sie vorgespielt bekommt.
Aber egal, wie man Mage Knight lernt, es ist ein zeitintensiver Prozess. Wenn man diese Hürde jedoch einmal überwunden hat, wird man mit einem Spiel belohnt, das einen schier endlosen Wiederspielreiz bietet und jedes Mal aufs Neue mit seiner Tiefe überrascht. Und, wie ich eingangs schon erwähnt habe, man freut sich einfach, dass man die Lernphase endlich hinter sich hat.
Ähm … denkste! Denn leider wird einem erst dann so richtig klar, wie umfangreich dieses Spiel wirklich ist und wie viel mehr es noch zu lernen gibt. Denn aufgrund der Vielzahl an unterschiedlichen Feinden, Einheiten, Fähigkeiten, Zaubersprüchen, Artefakten etc. kommt auch der erfahrenste Mage-Knight-Spieler immer mal wieder ins Straucheln und ist sich unsicher, wie jetzt die verstärkte Wirkung von Karte A in Verbindung mit der Angriffsfähigkeit von Einheit B und dem Kaltes-Feuer-Widerstand von Feindplättchen C genau funktioniert. Mir geht es da auch nach über 40 Partien nicht anders.
Reiz der Unklarheiten
Allerdings, und jetzt komme ich endlich zu dem, was ich mit diesem Text sagen möchte, habe ich irgendwann gemerkt, wieviel Freude mir das Recherchieren solcher Unklarheiten bereitet. Das hat mich schon sehr überrascht. Normalerweise will man den Flow des Spiels nur sehr ungern mit dem Nachschlagen von Regeln unterbrechen. Bei Mage Knight empfinde ich das anders. Je tiefer ich regeltechnisch in das Spiel einsteige, umso mehr Lust habe ich, noch tiefer einzusteigen. Nicht falsch verstehen: Das Spiel selber macht mir natürlich auch unheimlich viel Spaß. Aber das Aufklären von Regelunklarheiten bereitet mir fast genauso viel Freude und hat sich schon zu einer Art „Spiel im Spiel“ entwickelt. Auch außerhalb des Spiels beschäftigt mich das: Auf Boardgamegeek lese ich mir von Usern gestellte Regelfragen durch, nur um zu testen, ob ich sie selber beantworten kann. Ich freue mich über jeden neuen Playthrough auf YouTube fast so sehr wie über die nächste Folge meiner Lieblingsserie. Wenn ich mir solche Playthroughs anschaue, tue ich das nicht nur, um meine Regelkenntnis zu vertiefen und Spielweise zu optimieren, sondern auch, weil ich insgeheim hoffe, darin Spielfehler zu entdecken, auf die ich dann ganz stolz in den Kommentaren hinweisen kann. Durch das eingangs erwähnte Mage-Knight-Kompendium scrolle ich mich ebenfalls total gern und lese mir zufällige Stellen durch, einfach weil es mir Freude bereitet und weil ich weiß, dass ich immer irgendwas dazulerne. Dabei fühle ich mich dann wie ein echter Mage Knight, der mit jedem bezwungenen (Regel-) Kampf Erfahrung sammelt und weiter auflevelt.
Dass ich Mage Knight nicht nur auf spielerischer, sondern auch auf dieser Metaebene so sehr genieße, ist für mich ein Stück weit ein Solo-Spieler-Phänomen. Denn als Gesellschaftsspieler steht oftmals nicht das Spiel als solches im Mittelpunkt, sondern die Tatsache, dass ich es mit anderen Menschen spiele. Als Solo-Spieler fokussiere ich mich jedoch voll und ganz auf das Spiel vor mir und will es in aller Tiefe ergründen. Und da ich nicht auf Mitspieler angewiesen bin, kann ich das so oft und so ausführlich tun, wie es meine Zeit erlaubt. Da kommt man zwangsläufig irgendwann an den Punkt, an dem das Spiel mehr wird als nur ein unterhaltsamer Zeitvertreib. Bei Mage Knight würde ich sogar so weit gehen zu sagen, dass es sich für mich zu einem „Lifestyle“-Spiel entwickelt hat, das was für andere vielleicht ein Gloomhaven oder ein Terraforming Mars ist. Ich bin gespannt, ob ich das in der Form noch mal bei einem anderen Spiel erlebe. Das würde mich natürlich freuen, auch wenn ich jetzt weiß, dass der Weg dahin nicht ganz einfach wird. Aber der Mühe Lohn ist schon enorm.
– Sebastian Schmieder, www.solomanolo.de