„nichtmal beim Brettspiele spielen hat man vor eurer Agenda Ruhe. Wahre Vielfalt und Toleranz hatten wir all die Jahre – die geht jetzt durch die vertückte lgbtqia+ Community verloren“

„Klar kannst du privat noch so politisch sein – aber es hat bei Brettspielen nichts zu suchen – dann geh in die Politik“

„Ja wir machen halt euren bunten Regenbogen Scheiß nicht mit. Hat nicht zu bedeuten dass wir jmd mit solchen ansichten am Tisch nicht sitzen lassen – wir würgen es nicht jedem rein- das ist wahre Toleranz. Stell dir vor, wir haben am Tisch auch mal Ausländer zu sitzen, auch wenn es selten ist weil sie eh kein Deutsch bei uns hier können.“
(Fehler im Original)

 

Alexandra Kemmerer

Alexandra Kemmerer

Diese und weitere Nachrichten erreichten mich vor Kurzem per Instagram vom Account eines lokalen Spielevereins in Neu-Brandenburg. Anlass war eine Story meinerseits, in der es um ein Fest für Vielfalt ging, dessen Besucher:innen von Vermummten attackiert worden waren. Solche Aussagen sind keine Ausrutscher – sie spiegeln ein Missverständnis wider über das, was Spielen (nicht) ist. Deshalb will ich heute über eine Frage reden, die mich seitdem umtreibt: Ist Spielen politikfreier Raum?

Politik im weiten Sinne meint die Gestaltung, Aushandlung und Regelung unseres Zusammenlebens. Das umfasst Machtverhältnisse, Durchsetzen von Zielen, Ressourcenverteilung, soziale Teilhabe, Normen und Werte. Bekanntermaßen ist Politik Thema einiger Spielen: So führt beispielsweise Weimar uns an die Geschichte der Weimarer Republik heran, The King’s Dilemma dreht sich um die Konsequenzen politischer Entscheidungen und Puerto Rico 1897 nimmt im Gegensatz zu seinem Vorgänger ganz bewusst die Sicht puerto-ricanischer Landwirte ein. Wer diese Titel spielt, lernt mitunter mehr über Weltbilder als über Mechaniken. Doch Politik ist im Spiel viel tiefer verwurzelt als „nur“ thematisch. Für mich findet Politik überall dort statt, wo Regeln gemacht, Rollen verteilt und Interessen verhandelt werden – also auch am Spieltisch. Spielen ist schließlich nicht nur Zeitvertreib, sondern soziales Handeln: Wer mit wem spielt, welche Regeln akzeptiert werden, wie miteinander gesprochen wird, welche Rollen eingenommen werden und wer überhaupt Zugang zu Spielen oder Spieleveranstaltungen hat – das ist alles zutiefst politisch. Vielleicht nicht im parteipolitischen Sinne, aber im gesellschaftlichen Sinne definitiv.

Der Spaß am Spielen entsteht in Beziehung

„Aber Spielen soll doch einfach Spaß machen?“, denkt ihr jetzt vielleicht. Ja, natürlich. Aber Spaß entsteht nicht im Vakuum. Der Spaß am Spielen entsteht in Beziehung – zu den Menschen am Tisch, zur Geschichte im Spiel, zu dem, was wir darin erleben dürfen. Auf der Website der UNESCO, die „Brettspiele spielen“ kürzlich als immaterielles Kulturerbe anerkannt hat, heißt es: „Durch das gemeinsame Spielen entsteht eine integrative und generationenübergreifende Praxis, die Menschen miteinander verbindet, unabhängig von sozialen oder kulturellen Unterschieden.“ Wenn wir das ernst nehmen, dann gehört auch dazu, über unsere Spielwelten zu sprechen: Wer darf darin vorkommen? Wer wird nie gesehen? Wer fühlt sich ausgeschlossen? Welche Stimmen, Perspektiven, Körper oder Lebensrealitäten tauchen in unseren Spielwelten und am Spieltisch auf – und welche fehlen systematisch?

Das Ganze ist dementsprechend auch eine Frage dessen, mit wem wir bereit sind, zu spielen. Ich will es ganz klar sagen: Ich spiele nicht mit Rechten. Es kann nicht von mir verlangt werden, mich am Spieltisch sicher und wohlzufühlen, wenn man dort mit Menschen in Beziehung tritt, die ihre (Wahl-)Stimme andernorts für die Abschaffung demokratischer Rechte einsetzen. Manche von euch plädieren nun vielleicht für ihre Neutralität, gerade wenn man sich selbst nicht ausgeschlossen fühlt. Neutralität ist genauso ein Statement – nur eben oft eines, das Marginalisierung stillschweigend hinnimmt. Wer sich weigert, Position zu beziehen, überlässt die Deutungshoheit jenen, die laut sind – nicht unbedingt denen, die wir schützen sollten.

Sicherheit am Tisch

Kurz nach dem oben erwähnten Gespräch per Instagram hat die Person, die diese Aussagen schrieb, ihre Verantwortung in dem Spieleverein abgegeben, und eine andere Person hat den Account übernommen. Diese Person steht in Austausch mit mir, um das Geschriebene aufzuarbeiten. Auch daraus möchte ich zitieren: „Es wird auf jeden Fall dazu führen, dass wir uns die Leute genauer anschauen, die zu uns zum Spielen kommen – und vor allem unseren Verein nach außen repräsentieren“.

Was ist nun mein Fazit aus dieser Erfahrung? Ich würde mir wünschen, dass wir einander Sicherheit am Tisch versprechen. Sicherheit, dass wir aufeinander Acht geben, dass wir füreinander einstehen und dass der Spieltisch ein Ort ist, an dem sich niemand verstecken muss. Das geht nur, wenn wir auch darüber sprechen, was abseits des Tisches passiert. Nicht, um zu spalten, sondern um zu verbinden. Spielen ist eben mehr als Zeitvertreib. Spielen ist Spaß. Spielen ist Beziehungsgestaltung. Spielen ist politisch.

– Alexandra Kemmerer, www.brettspielhamster.de